Mark Kuhlmann, ein 52-jähriger Versicherungskaufmann der MLP AG
in Wiesloch, ist ehrenamtlicher Cheftrainer der deutschen Rugby-Nationalmannschaft, die am 19. Februar um 15 Uhr im Fritz-Grunebaum-Sportpark in Heidelberg-Kirchheim in der Division 2 der Europameisterschaft gegen Belgien spielt. Der in Heilbronn lebende Kuhlmann, vielfacher deutscher Meister und Pokalsieger mit dem DRC Hannover, betreute als Trainer den Sportclub Neuenheim, die Sport-Union Neckarsulm und den TSV Handschuhsheim in der Bundesliga, war jahrelang Co-Trainer unter dem legendären Nationaltrainer Rudolf Finsterer (Mannheim) und betreut das deutsche Team gemeinsam mit seinen Heidelberger Assistenten Kehoma Brenner und Lars Eckert seit Sommer 2021. Er hat einen kompletten Neuaufbau eingeleitet.
Herr Kuhlmann, welche Erwartungen richten Sie auf das Spiel?
Wir freuen uns, nach zwei Auswärtsspielen endlich wieder einmal zu Hause antreten zu dürfen. Das beflügelt uns. Da der Rasenplatz aufgrund der wechselhaften Witterung ziemlich tief ist, rechnen wir mit einem sehr anstrengenden Match. Unsere Spielweise müssen wir den Verhältnissen anpassen. In jedem Fall müssen alle Spieler bereit sein, den unerbittlichen Kampf, den uns die Belgier liefern werden, anzunehmen. Die letzten Länderspiele gegen unsere Nachbarn waren immer hart umkämpft.
Ihr Team ist mit einem 46:16-Sieg in Litauen in die EM-Saison 2021/22 gestartet. Was war gut?
Wir haben uns ganz strikt an unsere Taktik gehalten und auf unser Spiel besonnen: Blitzschnelles Handspiel, weite Pässe, Lust am Spiel haben und den Gegner ermüden. Das hat perfekt geklappt und zu sieben zwingend herausgespielten Versuchen geführt.
Das zweite Spiel in Polen ging nach einer 13:3-Führung mit 16:21 verloren. Was war schlecht?
Die Mannschaft hat auch dort eine gute Leistung gezeigt und war in der ersten Halbzeit besser als in Litauen. Gegen Spielende, als Polens Kicker mit sieben Straftritten 21 Punkte buchte, hat sich die mangelnde Erfahrung unseres jungen Teams bemerkbar gemacht. Statt das Spiel in die gegnerische Hälfte zu verlagern, sind wir gegen die wütend angreifenden Polen unter Verteidigungsdruck geraten und haben ein paar Regelfehler begangen, die Wojciech Piotrowicz gnadenlos ausgenutzt hat.
Wie schätzen Sie Belgien ein?
Belgien ist nach einer Niederlage im Relegationsspiel gegen die Niederlande der Absteiger aus der Division 1 und die große Unbekannte in unserem Wettbewerb. Sie haben noch kein Spiel bestritten, da die Ukraine am letzten Samstag in Brüssel nicht angetreten ist. Belgien ist mein Titelfavorit in der Division 2 und hat mit den Black Devils eine im Europapokal der Regionen eingespielte Mannschaft. Meine Spieler hingegen kommen direkt aus der Winterpause.
Aber Sie haben Ihr Team seriös vorbereitet?
Ja, natürlich, wir haben alles getan, was für eine Amateur-Nationalmannschaft in einem Januar und Februar möglich ist. Wir haben an sechs Sonntagen gemeinsam trainiert und dabei sehr intensiv gearbeitet und einen Wochenendlehrgang mit drei Trainingseinheiten und einem Testspiel bestritten. Dabei haben wir gespürt: Die Motivation der Spieler ist perfekt. Die große Frage wird sein: Wie kommen wir aus der Winterpause?
Wie lautet Ihre Taktik?
Wir wollen den Ball schnell machen, viel laufen, und wenn wir im gegnerischen 22-m-Raum sind, wollen wir jede Chance nutzen und punkten.
Was sind die Stärke Ihres Teams?
Unsere größte Stärke kann auch eine Schwäche sein: Es ist unsere jugendliche Unbekümmertheit. Wir haben viele junge Spieler, die mutig spielen und sich viel zutrauen. Wir dürfen aber, besonders wenn wir unter Verteidigungsdruck geraten, nicht mehr so viele Fehler machen und müssen cooler sein. Die Belgier mit ihren vielen erfahrenen Akteuren werden sicherlich ruhiger zu Werke gehen, aber wir wollen sie aus der Ruhe bringen und unseren Schwung in die Waagschale werfen.
Welche Erwartungen haben Sie an das Heidelberger Publikum?
Viele Menschen in der Kurpfalz freuen sich auf internationales Live-Rugby, auf schönes Wetter und auf die tolle Atmosphäre, die im Fritz-Grunebaum-Sportpark immer herrscht. Wir haben in diesem Stadion ja viele Spiele gewonnen, die schon verloren zu sein schienen und deren Ergebnis wir andernorts nicht mehr ins Positive gedreht hätten. Unser früherer Kapitän Mustafa Güngör hatte das Stadion mal als unser „Wohnzimmer“ bezeichnet – das soll es auch am Samstag sein!
Welches Ziel streben Sie mittel- und langfristig mit der Nationalmannschaft an?
Wir wollen in der Division 2 Schritt für Schritt besser werden, müssen aber, um in absehbarer Zeit wieder in die Division 1 zurückzukehren, dringend unsere Strukturen verbessern. Wir brauchen eine eingleisige Bundesliga mit zehn oder zwölf Vereinen, Woche für Woche und ohne störende Pausen hart umkämpfte Erstligaspiele. Und wir müssen es erreichen, zu den Länderspielen unsere Profis aus dem Ausland zu bekommen. Dafür müssen Vereinbarungen zwischen unserem Verband und deren Klubs getroffen werden – und dazu ist es notwendig, einen größeren Etat für zusätzliche Lehrgänge und Testspiele und die Verdienstausfall-Versicherungen der Profis zu haben.
Interview: CPB/Foto: Jürgen Keßler